Restaurantkritiker – der Spion, der aus der Küche kam…
Wie sie getarnt sind, worauf sie achten und in welche Fallen selbst eingefleischte Kochprofis tappen: Restaurantkritiker sind Agenten des guten Geschmacks – und gnadenlos objektiv. Ein Whistleblower der feinen Küche berichtet anonym, wie er hoch dekorierten Herdhelden bei verdeckten Einsätzen in die Töpfe guckt und dabei so manchen Aufschneider ´grillt´.
Sie kommen allein oder im Team, sind mit Messern bewaffnet und als Rentner, Familien oder unliebsame Gäste getarnt. Unauffällig taxieren sie das Terrain. Ob Speisekarte, Weinkarte oder Service: Ihr rastloser Blick ruht nie. Keine verrutschte Serviette, verknitterte Decke, kein fleckiges Glas, gar versiffter Teppich und keine Staubmaus am Tischbein entgeht ihnen. Eine tollpatschige Kellnerin, ein Gast, dessen Geduld auf die Probe gestellt wird? Fatal! Ein Stückchen Schale in der Walnuss, lauwarme Pasta, knirschender Feldsalat? Tödlich! Auch störender Rauch vom Nachbartisch, Püree aus der Tüte oder mangelnde Sensibilität für die Wünsche von Vegetariern sowie eine überteuerte Delikatesse können bereits das Aus sein für die gute Reputation eines Restaurants. All diese Makel werden messerscharf registriert und mit einer geistigen Notiz markiert – für den späteren Verriss. Wer den verdeckten Ermittler belehrt, verstimmt oder warten lässt, hat schon den ersten Wettbewerbsnachteil im atemlosen Herd- Parcours um seine Gunst. Diese ist heiß umkämpft, leicht zu verspielen und vor allem – nicht einfach zu erringen.
Die Küche ist nicht genug
Exquisites Essen und edle Champagner-Marken lassen den Connaisseur mit keiner Wimper zucken. Als Fachjournalist hat er schon das protzige Interieur so mancher Gourmet Tempel gesehen – und anschließend per Rezension flambiert. Der Chef-Sensoriker stimuliert seine Geschmacksknospen nur zu Analysezwecken. Er kennt die teuersten Trüffelsucher der Provence mit Namen und seufzt gelangweilt, wenn der Kellner die kulinarischen Highlights des Hauses aufzählt. Ob Maronen-Crèmesüppchen mit weißem Albatrüffel, Steinbuttfilet an Safransauce, Garnele mit Kokos-Chili-Kaffirfumet, Saint Jacques mit schwarzem Trüffel, Rotbarbe, Wachtelbrust oder vollendet durchkomponierte Crème brûlée: All diese Raffinessen nötigen ihm nur ein mattes Lächeln ab.
Kommando mit Killer-Instinkt
Als Einsatzleiter dirigiert er oft ein Heer von Agenten. Diese haben eine umfangreiche Bewertungsskala und nur eine Mission: die schwarzen Schafe der Branche zu grillen. Dazu kratzen sie gezielt an der Fassade, um eventuelle Risse zu offenbaren. Auch unter ihresgleichen kennen sie kein Pardon, Geheimhaltung hat oberste Priorität. Beim geringsten Verdacht, dass der Kollege nur Freunde testet, erpressbar ist oder allzu wohlwollend agiert, wird er ausgeschaltet. Entsprechend sei das Team geschult. Weil ein einzelner Gast mit aufmerksam schweifenden Blicken selbst Hilfskellnern schnell suspekt ist, treten die Inspekteure oft als Kleingruppe auf. Ihre Kleidung darf nicht merkfähig sein. Die Uniform des Restauranttesters bestehe aus Anzug und Krawatte, je durchschnittlicher, desto professioneller.
„Einer unserer besten Tester hatte ein Faible für Westernstiefel. Sein Schuhwerk sprach sich herum und wurde rasch zum Erkennungsmerkmal für die Küchenchefs. In der Branche war er praktisch verbrannt, deshalb mussten wir ihm kündigen.“ Indizien dafür, dass man vorzeitig erkannt wird, gäbe es viele: ein Foto-Konterfei hinter der Theke, ein vielsagender Blickwechsel des Servicepersonals oder übertriebene Aufmerksamkeit des Personals beim Aufnehmen der Bestellung. Auch ein plötzlicher Kellner-Wechsel am Ausschank sei verdächtig. Die Bedienung erfolgt dann gezielt aus erster Hand, man will kein Risiko durch unerfahrene Hilfskräfte eingehen: Tester sind dafür bekannt, auch peinliche Fragen zu stellen, um die Frustrationstoleranz auszureizen.
Kritik an der Kritik
Ist die Katze aus dem Sack, der Verriss öffentlich platziert, beginnt das Kesseltreiben oft erst richtig. Der eine oder andere Küchengott, gewohnt von seiner Entourage hofiert zu werden, reagiert dann narzisstisch verwundbar. Offene Briefe, Richtigstellungen und zornige Repliken der Gescholtenen seien an der Tagesordnung: „Da dampft und brodelt und zischt es dann aus jeder Zeile.“ Auch würden journalistische Ehrenkodexe von Unparteilichkeit beschworen. Aber genau diese Unbestechlichkeit zeichne ja einen guten Restaurantkritiker aus. Deshalb komme es einem Harakiri gleich, wenn der Küchenchef sich anbiedere, besonders mit Stacheldrahtsätzen wie: ´Das geht aufs Haus.´ Als No-Go sei das kaum mehr zu toppen – voll eingeschenkt!
Marschall des guten Geschmacks
Auch andere Fauxpas führten unweigerlich zu Abwertung, Warenunterschiebung zum Beispiel: Stehe Sauce béarnaise auf der Karte und werde dann ein Dressing auf Mayo-Basis serviert oder ein Kaviar-Substitut vom Lachs oder Hering aufgetischt, schade das dem Ruf eines Restaurants erheblich. Dem Gast mag das schon mal entgehen, nicht aber dem geschulten Gaumen eines Zensors.
Unser Informant: „Hinterher wird oft heftig dementiert: Das Ganze sei nur ein Versehen der Küche oder gar eine üble Unterstellung. Natürlich bin ich nicht unfehlbar. Deshalb gucke ich einfach mal in die Töpfe oder auf die Anrichte, wie wertig die Produkte und wie frisch die Zutaten wirklich sind: Anlass für eine Entschuldigung bestand bisher noch nie.“
Sei der erste Eindruck positiv, empfehle sich ein Nachhaken: Vielleicht hatte der Koch ja nur einen guten Tag – oder gut abgeschrieben. Denn viele selbstberufende Küchenkünstler würden der digitalen Versuchung erliegen und die Gerichte einfach „copy-pasten“: Sie klicken sich dann per Google durch die Speisekarten großer Kollegen wie Sven Elverfeld, Christian Bau oder Juan Amador. Diese werden dann nur geringfügig abgewandelt. Das sei alter Wein in neuen Schläuchen, mit Kreativität habe das nichts mehr zu tun.
Ein Gast mit spitzer Zunge
Manfred Kohnke, Chefredakteur des „Gault Millau“, kennt die Marotten der Maîtres wie kein zweiter. Fortgeschleppte Manierismen zerren an seinen Nerven. So werde alles, was sich nicht wehrt, neuerdings mit Balsamico verziert oder mit Chili geschärft, vom Hummer bis zur Schokolade, moniert der Kritiker- Papst in einem Online-Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Eine vergleichbare Landplage seien lasche Sommertrüffel, von kalten Gurkensuppen im Reagenzglas fühle er sich regelrecht verfolgt. Der Vollblut-Journalist provoziert schon mal mit mokanten Einlassungen – zum gewagt kurzen Rocksaum einer Gastronomen-Gattin oder zu sinnenfrohen Küchenchefs, die notorisch jeder Schürze nachjagen.
Der Gastro-Szene den Puls gefühlt
Die pikanten Zwischennoten scheinen die Auflage des Gault Millau nicht zu schmälern, laut Aussage der Redaktion lebt er sogar von solchen kleinen Sottisen. Jenseits von Schmähkritik wird der Guide auch als amüsantes Lesefutter goutiert: Restaurantkritik beinhaltet eben immer ein Quantum Entertainment. Vorrangig beurteilt sie natürlich die kulinarische Gesamtlage. Großes Lob vergab Manfred Kohnke wiederholt an die Kulinarik von Klaus Erfort, den seine Redaktion bereits 2008 als Koch des Jahres auszeichnete. Anerkennungen wie diese sind der Ritterschlag für ambitionierte Sternenfänger. Kohnke über Erfort: „Sein Ideenreichtum ist beeindruckend, zum Beispiel bei einem mit Langustine gefüllte Raviolo aus Milchhaut in grünem Gazpacho oder bei Gänsetopfleber in hauchdünnem, gepfefferten Ananasmantel.“ In seinem Perfektionsstreben sei er von nur einem Gedanken beseelt: dass es seinen Gästen schmecke.
DR. C. ROOSEN
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