Eveline Hall, die Über-Frau
Sie schwebt über die Runways von Gianni Versace, Jean-Paul Gaultier & Michael Michalsky, zählt zu den Top-Verdienerinnen im Model-Business und wird von Starfotografen wie Peter Lindbergh, Ellen von Unwerth oder Patrick Demarchelier gebucht. Eveline Hall, 70, ist gefragter denn je und steht über allem: Jugendwahn, starren Schönheitsidealen, alterstypischen Zipperlein und sogar über dem Zeitgeist. Diesen diktiert sie aktuell als dämonische Modegöttin in einem Werbespot des Online-Riesen Zalando, der ihr Gesicht überdimensional auf eine Leinwand projiziert.
Ist die schöne Wahl-Hamburgerin wirklich so abgehoben wie manche ihrer Auftritte? So unnahbar wie ihre Aura? Triumphiert sie am Ende gar über die Schwerkraft? Mit hanseatischer Nüchternheit holt sie uns auf den Boden der Tatsachen zurück: „Das Alter lässt sich nicht leugnen, den Zahn muss ich jedem ziehen. Aber Faltencremes, Foto-Retuschen, Weichzeichner und der ganze Kokolores interessieren mich ebenso wenig wie Oma-Frisuren.“ Ihr Credo: Ich steig aus und mach ´ne eigene Show!
Gegenüber Medien wie dem Spiegel, der FAZ oder dem Zeit-Magazin postulieren Sie, wie weltfremd es eigentlich sei, mit 65 Jahren noch Top-Model werden zu wollen. Ist das nicht ein wenig kokett angesichts Ihrer kometenhaften Karriere?
Hall: Die Realität meint es nicht immer gut mit unseren Lieblingsideen. Meine Mutter, vormals auch Tänzerin und die Disziplin in Person, wollte mich stets vor Höhenflügen oder Ego-Trips bewahren. „Kind,“ hätte sie in diesem Fall gekontert, „ich hab´s ja immer gewusst: Mit dir stimmt was nicht: Du bist von einem anderen Stern!“
Ihre extravaganten Laufsteg-Auftritte muten zuweilen wirklich ein wenig ´außerirdisch´ an oder zumindest eine Spur surreal …
Hall: Ich bin aber ganz von dieser Welt. Wenn mir Versace oder ein anderer Couturier seine Entwürfe zu Füßen legt, kann ich doch nicht meutern: „Das sieht ja aus wie ein nackter Lappen!“ Dazu bin ich zu professionell. Ich verkörpere, was mir aufgetragen wird, auch wenn ich dabei transformiert werde: nicht selten in eine völlig andere Person.
Metamorphosen sind Ihr Markenzeichen: Als Sie den natürlichen Salt-’n’-Pepper-Ton Ihrer Haare als Stilmittel kultivierten, wurden Sie zum bekanntesten No-Age-Model Deutschlands. Professionalität gepaart mit Fantasie und künstlerischer Intuition haben sich für Sie ausgezahlt …
Hall: Mit so einem Senkrechtstart war wirklich nicht zu rechnen, als mich Michalsky erstmals für die Berliner Fashion Week buchte. Mein Freund Ted Linow, Boss einer Modelagentur, hat mich ihm damals empfohlen: „Sie ist nicht mehr 20, nicht mehr 30, wenn ich ehrlich bin, auch nicht mehr 40, ganz ehrlich: Sie ist 65.“ Der Rest ist Catwalk-Geschichte.
Wenn Madonna im Minirock oder Strapsen posiert, provoziert sie eher Buh-Rufe, Sie hingegen Kniefälle. Solche Huldigungen quittieren Sie jedoch mit der Nonchalance einer Marlene Dietrich …
Hall: Sie war mein Idol, auch weil sie während der dreißiger Jahre alte Denkgewohnheiten entstaubte, zum Beispiel als erste einen Hosenanzug trug. Die öffentliche Meinung tangierte sie nur peripher. Auch ich will keinem mehr gefallen, über diese Lebensphase bin ich hinaus. Dafür anderen Frauen Mut machen: „Habt keine Angst vor dem Älterwerden, es ist ein Abenteuer!“
Ballett-Solistin, Showgirl, Schauspielerin am Hamburger Thalia-Theater, Supermodel: Ihre Vita liest sich wie ein Potpourri unterschiedlicher Lebensmodelle. Mit dem Debüt-Album Just a Name schlagen sie wieder ein neues Kapitel auf. Hat man da nicht manchmal Angst, sich zu verheben?
Hall: Ich habe vier Leben in eins gepackt und darüber hinaus eine klassische Gesangsausbildung genossen. In die Produktion fließen all diese Fähigkeiten ein. So wohnt der Thriller-Ballade „Carved into a Stone“ eine Dramaturgie inne, die ebenso Tanz- und Darstellkunst erfordert. Der Kreis schließt sich.
Aktuell treten sie musikalisch in die Fußstapfen von Chanson-Legenden wie Hildegard Knef oder der Sängerin Alexandra.
Hall: Als Zeitzeugin bin ich prädestiniert für diese Musikrichtung. Vielleicht gelingt es, eine Brücke zwischen den Brüchen einzelner Ären zu schlagen und auf diese Weise ein wenig an dem Mythos mit zu weben, auf den Spuren der letzten, großen Diven.
Ihre Persönlichkeit und das Timbre Ihrer Stimme werden einer Dietrich oder Knef durchaus gerecht, wie der Icon Award Austria dokumentiert, dessen erste Trägerin Sie sind. Produziert wird das neue Album von Franz Plasa, der schon Stars wie Nena und Udo Lindenberg aufbaute sowie Hits für Falco schrieb. Wie viel Ehrgeiz steht Ihrerseits hinter solchen Projekten?
Hall: Ich jage nicht mehr dem Applaus des Augenblicks nach: Wer darf im Schwanensee tanzen? Wer ergattert die Hauptrolle in einem Theaterstück? Dieser neurasthenische Konkurrenzkampf ist für mich ausgefochten. Ziel meines Schaffens ist heute, etwas abzugeben. Meine zahlreichen Neuanfänge sollen ein positives Signal aussenden, auch an die jüngere Generation: Scheut euch nicht, viele Türen zu öffnen und dann auch hindurchzugehen. Einsteigen, aussteigen und sich wieder neu erfinden: Das ist die Melodie meines Berufs.
Sie hassen Trivialität. Verzeihen Sie uns deshalb die Gretchen-Frage: Wie schaffen Sie es, mit 70 so jung auszusehen, ganz zu schweigen von Ihrer makellosen Figur mit den Endlos-Beinen?
Hall: Nun, ich war lange Ballett-Solistin an der Hamburger Staatsoper und trainiere immer noch täglich. Für meine Figur würde ich jedoch nie hungern: Ich liebe 3-Gänge-Menüs, Hungerleider tun mir leid. Mein französischer Mann hat zum Beispiel gekocht wie Paul Bocuse. Dann sagst du doch nicht: ´Nein danke, lieber n´ bissken Salat mit geträufelter Zitrone! ´ Dafür trinke ich kaum Alkohol und rauche nicht.
Kaum zu glauben, wenn man Ihre rauchige Stimme in dem Musik-Video „Carved into a Stone“ hört: Sie klingt nach Partys und mondänen Exzessen. Stimmt es, dass Sie in den 60er Jahren, während Ihrer Showgirl-Engagements in Las Vegas, mit Elvis Presley, Diana Ross, Tina Turner und Sinatras Rat Pack um die Häuser zogen?
Hall: Touché! Elvis war wirklich der Netteste von allen. Uns verband eine jeweils sehr enge Mutterbeziehung. „Ich vermisse Mutti so“, gestand ich ihm. Das verstand er gut: „Meine Mutter ist ebenfalls das Wichtigste in meinem Leben.“ Diese Empathie zeichnete ihn aus: Er konnte komplett aussteigen aus dem ganzen Rummel um seine Person und auf andere eingehen. Wir waren eher wie eine Familie und unterstützten uns gegenseitig: „You don´t have a Badewanne?“ sagte Frank Sinatra einmal zu mir: „Dann nimm doch einfach meine!“
INTERVIEW: CLAUDIA ROOSEN
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung von Eveline Hall, Willi Plasa & der Mega Model Agency, Hamburg sowie der H.O.M.E Studios, Hamburg