Im Windschatten von Andreas Raelert
Kaum ein Athlet hat die neue Rasanz im Triathlon so nachhaltig inspiriert wie Andreas Raelert. Wer den Olympioniken um ein Interview bittet, wird schon mal richtig auf Tour gebracht: so geschehen für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift triathlon. Während der Reporter nach Rostock reiste, um an der Seite des mehrfachen Ironman-Siegers zu trainieren, heften wir uns diesmal digital an die Felgen des Dreikampf-Stars. Mit Fokus auf den Spirit des Unvorstellbaren und die Schönheit der Schmerzen: Denn trotz mörderischer Strapazen ist das Suchtpotenzial auch für Agegrouper, Amateure und Hobby-Sportler groß. The Race is on!
Zurheide: Andreas, Sie werden in der Bestenliste deutscher Triathleten auf Platz zwei geführt, haben erst im Juni den Keszthely-Triathlon am Plattensee gewonnen und speziell auf der Ironman-Distanz schon viele Siege eingefahren. Wie hart muss man sich solche Erfolge erarbeiten?
Raelert: Beim Triathlon gewinnt, wer seinen Körper am besten zum Einsatz bringt. Um später in Topform an der Startlinie zu stehen, ist ein straffes Trainings-Pensum unverzichtbar. Unsere Trainingsabläufe werden deshalb exakt an die Jahresziele angepasst und der Rennkalender ist entsprechend strukturiert. In der Regel beginnt mein Tag um fünf mit dem ersten Schwimmtraining …
Zurheide: … und endet laut triathlon-Magazin erst um 23:59 Uhr. Standard seien bis zu 5,2 Kilometer mit vier Sätzen und 20-mal 50-Meter-Paddles in einer Abgangszeit von 40 Sekunden. Klingt nach einem echten Knochenjob!
Raelert: Du bist immer nur so gut wie das letzte Ergebnis bei einem Rennen. Und Training kannst du nicht nachholen. Deshalb trainieren wir an 365 Tagen im Jahr, trainingsfreie Intervalle gibt es praktisch nicht. Aber es ist nicht nur Maloche, die Leidenschaft läuft mit.
Zurheide: Sie erhalten Sponsoring-Angebote bekannter Unternehmen, die von der Aura des Ironmans profitieren wollen. Gerät das nicht leicht mal zu einem Balanceakt – zwischen den Ansprüchen der Sponsoren und Ihren sportlichen Verpflichtungen?
Raelert: Mein Glück ist, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte und Partner an meiner Seite zu wissen, die das ermöglichen. So arbeite ich mit Europas größtem Radhersteller zusammen und bin auch in die Produktentwicklung involviert. Auf der anderen Seite wäre es kontraproduktiv dafür das Training zu vernachlässigen: Jede Einheit, die du nicht absolvierst, kann dir später für den Sieg fehlen: auch im Gesamtumfang hochgerechnet auf ein Jahr.
Zurheide: Umso wichtiger ist ein unterstützendes Umfeld: Sind Sie stets von einer Entourage aus Physiotherapeuten, Mechanikern und Mediensprechern umgeben?
Raelert: Wir verstehen uns eher als Familienunternehmen: drei Brüder, die sich die Aufgaben teilen. Während Michael und ich die Rennen bestreiten, arbeitet mein dritter Bruder Sven im Back-Office. Er kümmert sich um das Marketing, koordiniert unsere Termine und hält uns auch sonst den Rücken frei. Die Messlatte bei Weltmeisterschaften liegt hoch. Dass ich solche Hürden meistere, ist auch ein Verdienst von dem Team, das hinter mir steht und an mich glaubt.
Zurheide: Auch Michael setzt sich mit einem Weltklassefeld auseinander: Bei einem Elite-Rennen in der Slowakei trat er gegen die weltbesten Kurz- und Langstreckler an. Kommt es da schon mal zu einem sportlichen Kräftemessen?
Raelert: Wir duellieren uns so oft wie möglich. Auch wenn Triathlon ein Einzelsport ist, entwickelst du dich nur weiter, wenn du dich an jemandem messen kannst.
Zurheide: Es gibt im Profisport kaum jemanden, der sein Arbeitsgerät so gut beherrscht wie Sie. Ist das Radfahren Ihre Parade-Disziplin?
Raelert: Begonnen habe ich damals als Schwimmer auf Bundesliga-Ebene. Um mit den Besten der Welt mitzuhalten, ist jedoch Ausgewogenheit entscheidend: Du musst in allen Disziplinen eine vergleichbar starke Leistung abliefern. Mit dem richtigen Mindset lassen sich jedoch temporäre Defizite gut kompensieren.
Zurheide: Erfolg ist also auch Einstellungssache?
Raelert: Achtzig Prozent spielt sich im Kopf ab. Wenn alljährlich in Hawaii an die fünfzig Top-Athleten antreten, bringen sie physisch ähnlich gute Voraussetzungen mit an den Start. Es muss also eine Komponente geben, warum sich immer die gleichen durchsetzen. Am Ende, gerade in der Langstrecke, ist es die mentale Stärke, welche über Sieg oder Niederlage entscheidet.
Zurheide: Wie motivieren Sie sich, wenn Sie mal eine Talsohle durchqueren? So konnten Sie 2016 wegen einer Verletzung nicht am Frankfurter Ironman teilnehmen. Die mit Spannung erwarteten Duelle mit Sebastian Kienle, Andi Böcherer und anderen internationalen Stars blieben aus.
Raelert: Der Erwartungsdruck von Partnern, Sponsoren und der eigenen Familie ist natürlich groß. Umso wichtiger ist es seine Chancen realistisch einzuschätzen. Negatives auszublenden, nichts schwarzzureden und sich im Rückblick an den Ressourcen zu orientieren: Wo waren gute Ansätze? Was ist noch ausbaufähig?
Zurheide: Das erklärte Ziel jedes Profis ist der Ironman Hawaii, welcher dieses Jahr am 14. Oktober stattfindet. Werden Sie Ihren Startplatz für das Rennen in Kona noch fix machen?
Raelert: Weil ich lange verletzt war, bin ich derzeit noch im Formaufbau. Aber der Sieg beim Ironman 70.3 Edingburgh hat sich neulich so gut angefühlt, dass ich diese Emotion am liebsten wieder auskosten würde. Die Chancen auf Kona steigen damit wieder, noch ist jedoch alles offen.
Zurheide: Wer die Strapazen eines Triathlons auf sich nimmt, übt sich vorher oft Monate lang in Askese. Doch die Passion ist größer als der Schmerz. Wann wurden Sie erstmals mit dem Ironman-Virus infiziert?
Raelert: In den neunziger Jahren während einer Fernsehausstrahlung des Ironman Hawaii. Der Funke sprang gleich über. Da war ich so sechzehn.
Zurheide: Sie gelten als knallhartes Trainingstier. Sind Sie manchmal auch just for fun unterwegs oder immer nur in Ihrer Eigenschaft als Goal-Getter?
Raelert: Sonntagmorgens um sechs fahre ich gern durch die Gegend, einfach so. Du bist eins mit der Straße. Sie gehört dir. Auch sonst darf sich Training nie aufgezwungen anfühlen. Die Freude am Sport ist ein wichtiger Katalysator für Erfolg.
Zurheide: Apropos Spaßfaktor: Welches Leichtbau-Wunder ist Ihr Hightech-Fahrrad für den Fight und wie sieht Ihr Allroader für den Alltag aus: Machen Sie uns neidisch!
Raelert: Die Bikes von Cube sind schon eine Benchmark, ihre Performance ist einfach top, auch wegen der innovativen Technologie. So wurden die Rahmenprofile im Windkanal optimiert, um eine ideale Kombi aus geringem Gewicht und guter Aerodynamik zu erzielen. Meine Erfahrungswerte sind mit eingeflossen, damit man keine Sekunde liegenlässt.
Zurheide: Was immer ein Athlet am Vortag tut, trainiert oder isst, beeinflusst seine Leistungsfähigkeit am Folgetag. Wie sollten sich ambitionierte Hobby-Triathleten ernähren, um im Rennen Ihr volles Potenzial abzurufen: Reicht das übliche Carbo-Loading auf Pasta-Partys aus?
Raelert: Am besten, man testet schon in der Trainingsphase, was man vor einer intensiven Einheit gut verträgt. So treten während der Belastung keine Probleme auf. In einem solchen Wettbewerb werden acht- bis neuntausend Kilokalorien verbrannt. Da muss die Energiezufuhr schon gut durchdacht sein, sonst hat man keine Chance. Doch wenn man mal Lust auf ein Stück Schokolade hat: Warum nicht? Etwas Nervennahrung kann schließlich nicht schaden. Oder ein leckerer Kaffee als Starter!
INTERVIEW: CLAUDIA ROOSEN